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Liam

Danke, dass du meine Geschichte* hören willst!

Ich heiße Liam und bin 14 Jahre alt. Aufgewachsen bin ich als Nadine in einem kleinen Dorf in der Nähe der Stadt Bautzen. Mit meiner Mutter und meiner kleinen Schwester sind wir vor einigen Jahren in eine Wohnung in Bautzen gezogen. Ich besuche die Oberschule, jedoch gehe ich nicht so gerne zur Schule, da ich mich dort nicht wirklich wohlfühle. Der Unterricht und die Lehrer sind ganz okay, trotzdem werde ich jeden Tag von Schülern, aber auch von anderen Menschen auf der Straße, auf mein Aussehen angesprochen. Jeden Tag darf ich mir anhören, dass ich nicht richtig bin, so wie ich eben bin. Manchmal auch sehr beleidigend, was mich tief verletzt. Wie es mir geht, verstehen viele Menschen nicht und sagen ich wäre kein Junge, manchmal sogar kein Mensch. Ich habe viel Angst davor, dass mir in der Stadt mal schlimmeres, als Beleidigungen, passieren. Deshalb verbringe ich viel Zeit online und gehe so wenig wie möglich in die Stadt. Am liebsten würde ich so schnell es geht aus Bautzen wegziehen, in eine viel größere Stadt. Damit ich nicht mehr jeden Tag diese Situationen erlebe. Aber leider geht das nicht. In einer größeren Stadt könnte ich so sein, wie ich bin und die Leute würde mich akzeptieren. Keine schiefen Blicke, keine ausfälligen Bemerkungen. 

Schon als Kind habe ich mich unwohl in meinem Körper gefühlt, irgendwie ganz falsch. Am liebsten habe ich mir immer weite Shirts und Hosen angezogen. Ich wollte aussehen wie ein Junge, doch so richtig wollte das niemand aus meiner Familie oder in der Schule nachvollziehen. Ich konnte ihnen auch nicht erklären, warum es so war. Ich habe es einfach nur gespürt, tief in mir. 

Vor ein paar Monaten habe ich verstanden, dass ich im falschen Körper geboren wurde. Ich habe mich nie als Mädchen wahrgenommen, was Kleider anzieht oder mit Puppen spielt. Als ich bei einem Schulprojekttag mitgemacht habe, fiel mir ein riesengroßer Stein vom Herzen. Mir wurde klar, dass ich nicht unnormal bin, so wie mich die Leute darstellten. Ich bin wie alle, ganz normal. Die Sozialarbeiterin erklärte uns, dass jeder Mensch anders ist, andere Lebensbedingungen vorfindet und anders im Leben geprägt wurde. Es gibt unterschiedliche Geschlechter und Geschlechtsidentitäten, unterschiedliche sexuelle Orientierungen, unterschiedliche Besonderheiten im Aussehen. Doch jeder Mensch ist auf seine eigene Art besonders und einzigartig … und erst dann im Leben glücklich, wenn man sich selbst lernt so zu akzeptieren, wie man ist und die anderen einen auch tolerieren und akzeptieren. Was uns alle verbindet, ist, dass wir alle Menschen sind. Durch die Sozialarbeiterin habe ich eine Gruppe queerer Jugendlicher kennengelernt. Mit ihnen treffe ich mich oft, wir reden zusammen, tauschen uns aus und erleben auch gemeinsam tolle Momente. Ich habe endlich Freunde, die mich verstehen können und mir helfen, mich selbst zu finden. Seit ein paar Monaten nennen mich alle Liam. Der Name gefällt mir sehr und ist neutral. Ich bin transgender und dazu stehe ich. Und genau wie mir geht es einigen Menschen in Bautzen. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass Anderssein auch in der Oberlausitz von Menschen akzeptieren und ernst genommen wird.

„Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ (§1 SGB XIII)

*Die Lebensgeschichte bezieht sich auf reale Erfahrungen, welche die Sozialarbeiter*innen innerhalb ihrer Arbeit erleben. Die Namen sind anonymisiert

#verantwortung

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